Frisch, geheimnisvoll, ziemlich poppig – und das mit 65 Jahren:

 

Der Wattwiler Künstler Walter Grässli zeigt im Gemeindehaus Wattwil sein Lebenswerk und zum ersten Mal seine neuen pointillistischen Bilder, hochkonzentrierte «Pünktli-Malerei».

 

01. November 2008, 01:00

Hansruedi kugler

 

Wattwil. So viele Bilder hingen wohl noch nie im Wattwiler Gemeindehaus: 225 mal Walter Grässli – ein ganzes Lebenswerk. Die Ausstellung führt chronologisch von der obersten Etage ins Parterre, von den 1960er Jahren ins Jahr 2008, «vom Düsteren zur Farbigkeit», sagt der Künstler selbst über die Ausstellungs-Dramaturgie. Zuoberst die dunklen Radierungen, die während seiner Ausbildung in Paris entstanden (mit Gauklern, Clochards und dem Erlkönig). Weiter unten sind viele Landschaften (Walensee, Camargue, Toskana) zu sehen. Grässli will aber vor allem seinen aktuellen Pointillismus zeigen: Der Blick geht durch Netz, Vorhang oder Gitter, nicht immer erkennt man dahinter etwas, manchmal eine geheimnisvoll vorübergehende Frau, einmal hat Walter Grässli eine Cancan-Tänzerin pointillistisch aufgelöst. Auf anderen leuchten die Models poppig im Vordergrund. Statt über das Gegenständliche spricht Grässli aber lieber von den Farben, die durch den Divisionismus zu leuchten beginnen: «Das Auge des Betrachters wird zum Mitwirkenden.» Die Fachwelt spricht von Simultankontrast. Das Phänomen ist relativ simpel: Zum Beispiel wirkt gelb neben blau anders als neben grau. Malt man ein ganzes Bild pointillistisch, braucht das ein enormes Farbgefühl.

 

 

Ein Familien-Kunstwerk

 

Woher das alles kommt? Grässli, der künstlerische Einzelgänger, der von der Kunstkritik auch mal aufs Dach bekam, weil er mit seiner Malerei nicht aktuell sei. Er blieb ein Mann der Malerei. Mit Video, Performance und Installationen versuchte er sich nie. Walter Grässlis Künstlerexistenz erahnt man am besten bei einem Besuch in seinem Haus im Bunt. Darin geht man sozusagen durch eine Werkschau Grässlis. Auch die Farbenlehre hängt mit vielen Beispielen an den Wänden. Grässlis Buch «Farbgestaltung» war ein internationaler Erfolg. Und man trifft eine ganze Künstlerfamilie: Grässlis Frau Theresia ist Textilgestalterin («wir sind ein perfektes Team»), alle vier Kinder sind in künstlerischen Berufen tätig, «und sind meine härtesten Kritiker», sagt Walter Grässli. Die Familie ist auch spürbar mit dem Einfluss des Textilen auf seine Bildsprache und die Auseinandersetzung mit neueren Strömungen der Malerei. Dass er neuerdings Silvesterchläuse malt, finden die Kinder allerdings gar nicht aktuell. Walter Grässli aber sagt: «Es geht mir dabei nicht um das Folkloristische, sondern um das Mystische. Weil ich am 13. Januar geboren wurde, habe ich sowieso einen besonderen Zugang zum Chlause.» Im Erdgeschoss seines Wohnhauses an der Wilerstrasse hat sich Walter Grässli ein weiträumiges Atelier eingerichtet. Rundherum weisse Stellwände, in der Mitte ein grosser Tisch, eine Presse in einer Ecke, die Staffelei in der anderen. Wenn Grässli nicht gerade am «Pünktli-Malen» ist (für jedes dieser Bilder drückt er eine Woche lang jeden Tag acht Stunden Punkt um Punkt auf die Leinwand) ist er mit seiner zweiten «Winterreise» beschäftigt.

 

«Ein Kunst-Fanatiker»

 

Schuberts Liederzyklus hat es ihm angetan. «Ich bin ein Fanatiker», sagt Grässli. Und schaut man ins Regal, glaubt man es ihm auch: 80 Versionen der «Winterreise» stehen dort, CD und Kassetten – Fischer-Dieskau, Häfliger und viele mehr. Die hört sich Walter Grässli stundenlang an. Denn bei der aktuellen Arbeit gehe es ihm nicht um eine Illustration, sondern um eine indirekte Umsetzung: Was die Musik in ihm bewegt, soll auf den Bildern zum Ausdruck kommen. Warum ein Fanatiker? Er sei immer schon der Kunst verfallen gewesen, meint er. Die Schulkollegen hörten Peter Kraus, er Schubert-Lieder. Im Militär lasen die Kameraden Western, Grässli las Gedichte.

 

Nicht für den Markt gemalt

 

Als Kind habe er immer und überall gezeichnet – vor allem Szenen aus Heldensagen und Romanen. Lederstrumpf, Schatzinsel und Schweizer Sagen gaben die Vorlagen ab. Zur Berufswahl sagt er: «Ich wollte um alles in der Welt nicht Lehrer werden, sondern Künstler.» Statt ins Lehrer-Seminar zu gehen lernte er Schriftenmaler und malte Bühnenbilder, ging nach Paris, übte sich zeichnend in den Strassen, wurde auf Anhieb ins Radier-Atelier der Ecole des Beaux-Arts aufgenommen. Und kehrte in die Schweiz zurück, wo er eine Familie gründete und Lehrer wurde. Mit Leidenschaft, Akribie und Verständnis: «Ich hasse es, wenn man mich in ein Schema presst, und das wollte ich meinen Schülern auch nie antun», sagt er. Der grosse Erfolg auf dem Kunstmarkt kam zwar nicht. «Ja, mein verfluchter Eigensinn», lacht Grässli, «für den Markt malen konnte ich nie.»